An der mittleren und oberen Ruhr.
Von Ad. Benkert.
Auf die Berge will ich steigen,
Wo die frommen Hütten stehen,
Wo die Brust sich frei erschließt,
Und die freien Lüfte wehen.
Auf die Berge will ich steigen,
Wo die dunkeln Tannen ragen;
Bäche rauschen, Vögel singen,
Und die stolzen Wolken jagen …
das auszuführen, wurde nun freilich unserem jugendlichen Dichter gewiß leichter, von Göttingen aus in den Harz zu ziehen, als uns, aus der weiten münsterschen Ebene in das abgeschlossene Sauerland. Doch wie lange noch –, dann kreuzen auch hier Schienenwege die einsamen Straßen, durcheilt brausend das Dampfroß die stillen Thäler.
Noch ist es schwer, abseits der Heerstraße einzudringen in das abwechslungsreiche Innere, und das gerade ist schön, solange noch die modernen Spartaner auf Reisen, der feilschende, anmaßende Engländer und der renommierende, nüchterne Berliner fernbleiben.
Wie nun gelangen wir am schnellsten vom nördlichen Abhange der Haar hin zur Ruhr? Den Weg über Drüggelte, Arnsberg kamen wir schon. Aber über Werl, den Stammsitz der Arnsberger Grafen, und dann bis Wickede, da strömt die Ruhr. – Doch das ist nicht mehr die jungfräuliche, ländlich anmutige Ruhr, die wir suchen, nicht mehr der ungezwungene, tolle Waldbach.
Ueber Lippstadt denn in Gottes Namen mit der „Schwebebahn“ bis Warstein. Dieses Beförderungsmittel bietet neben allen Freuden einer Sekundärbahn nicht wenig Gelegenheit, Mut und Unerschrockenheit zu zeigen; doch meist läuft alles gut ab, und in etwa einer Stunde ist Warstein, das alte sowohl aus dem 13. Jahrhundert, wie das neue Warstein an der Wester aus dem Jahre 1802, erreicht. Und nun ist die Ruhr nicht mehr allzuweit. Vorerst jedoch halten uns die „abgebrannte Stadt“ fest und die Bilsteinhöhlen in ihrer Nähe.
Warstein
Da sind wir am Ufer der Wester, die zwar auf der Karte als äußerst winziger Streifen sich darstellt, in Wirklichkeit aber ein ganz munteres Wasser mit quecksilberigen Forellen ist.
Nicht immer lag das Städtchen Warstein so behaglich hingegossen hier unten an den beiden Ufern des Flüßchens. Einst ragte der dörflich bescheidenen Ort oben auf dem Plateau, das steil zur Wester abfällt. Im 13. Jahrhundert von Erbischhof Siegfried gegen den Willen Gottfrieds II. von Arnsberg, weil in oder an seinen Waldungen gelegen, gleich Belecke und Callenhardt, neu gegründet, war es eine feste Stadt mit drei Thoren.
Da lag sie, ein echter „Wart-Stein“; die steile Ostseite führt auch die Bezeichnung „heue Wake“ (hohe Wacht). Das Wasser mußte ihr künstlich zugeführt werden und sammelte sich in drei steinernen Wasserbehältern, sogenannten „Tempelkümpen“. Eines Pflasters bedurfte das alte Warstein nicht; der nackte Fels starrt überall hervor, und noch verfolgt man leicht die eingefahrenen Spuren zwischen Krautgärten und Mauerresten hindurch.
Unten im Thale zieht sich eine zierliche Kunststraße hin; aus Süden, von der Ruhr bei Meschede kommend, folgt sie dem Westerthale mitten durch die neue Stadt, und weiter nach Norden, dem Städtchen Belecke zu, verschwindet sie im Walde.
Die Stadt besitzt etwa 1400 Morgen Waldung; der übrige Boden ist nicht besonders fruchtbar. Kahle, sonnenverbrannte Hügel und hie und da heideähnliches Gelände, auf dem der Warsteiner Hirt seine magere Herde weidet, passen schlecht zu dem sonst spießbürgerlich behäbigen Bilde der Stadt unten und dem herrlichen Walde ringsum.
Die nächste Umgebung oben auf der Höhe freilich, sie bietet das Bild wüster Zerstörung. Auf der Nordseite ragt einsam ein Steingebäude, der „Zehnthof“, im Westen hoch oben die alte Pfarrkirche, und am Abhange zerstreut liegen in dörflicher Einfachheit und Umgebung einzelne Häuschen: das sind die Reste des im Anfange dieses Jahrhunderts abgebrannten Alt-Warstein.
Die Stadt spielte eine gewisse Rolle in den Wirren des Mittelalters, in der Soester Fehde u. a. Nächst Rüthen löste Warstein zuerst ihr Siegel von dem mit Soest gegen Köln geschlossenen Schutzvertrage. Die Kühnen erklärten den Soestern den Krieg und zogen „am Tage der Apostelteilung“ 1444 gegen die feste Stadt am Hellwege; sie wurden jedoch mit blutigen Köpfen heimgesandt, an die vierzig Mann waren gefangen und ebensoviel Pferde verloren.
Nun zogen die Soester ihrerseits des öfteren gegen Warstein, und zwar mit mehr Glück; auch das nahe „Callenhart1) wort gewunnen und gespoliert“.
Weniger glücklich heißt es, waren die Soester beim Ansturm auf Belecke. Die Belecker Frauen und Jungfrauen sollen nämlich im entscheidenden Augenblicke alle Bienenkörbe – und ihrer scheinen sie eine große Menge gehabt zu haben – den Anstürmenden auf die Köpfe geschleudert haben, also daß sie eiligst flohen.
In den sogenannten Truchsessischen Wirren (1583), als der Erzbischof von Köln, Truchseß von Waldenburg, selbst zur reformierten Kirche übergetreten, das Herzogtum Westfalen reformieren wollte, blieb Warstein allen Neuerungen fern, während Brilon, Marsberg etc. denselben nicht abhold sich zeigten.
Im Vergleiche zu den an der Heerstraße gelegenen Orten, kam Warstein im dreißigjährigen Kriege gut davon, abgesehen von mancherlei Erpressungen und Mißhandlungen einzelner. So soll ein Bürgermeister vor den Schweden sich auf den Kirchturm geflüchtet und, auch hier bedrängt, „einen höchst gefährlichen Sprung“ gethan haben in die untenstehenden Bäume u. a. m.
Auch im siebenjährigen Kriege erging es dem Städtchen nicht allzuschlimm.
Der Pater Martinus vom Kloster Grafschaft, das in Warstein, in dem schon erwähnten „Zehnthof“ die Einkünfte der Umgebung erheben ließ, erzählt freilich von erbarmungswürdigen Erpressungen.
So verlangte ein in diesem Kriege dort einquartierter Obrist zwei Ohm Wein. Der hochwürdige Herr Prälat sandte solchen auch vom Kloster aus, zugleich mit der Angabe, „die Ohm koste 28 Reichsthaler“. Als nun der Obrist anfragte, was das bedeute, erhielt er die Antwort, man habe „den Prens des Weins angesetzt, damit wan der obrist mehr wein verlangte, er wissen könnte was die Ohm kostete“.
Ein anderes Mal war der gelieferte Wein nicht gut genug, es sollte „alter Rheingauer“ sein.
Auch berichtet der Pater getreulich, wie er einmal hoher Einquartierung Bier, „item einen teller mit butterambs praesentirt“. Diese und ähnliche Ereignisse scheinen in des Paters beschauliches Dasein eine arge Störung gebracht zu haben.
Auch seine „Revolution“ hat Warstein gehabt, und zwar zugleich mit der französischen; doch waren Veranlassung und Ausgang ungleich harmloser.
Die „Patrioten“ nämlich, die Volkspartei, wollten den Patriziern, „Prinzen“, ihre Waldvorrechte schmälern im Interesse der Allgemeinheit. Militär zog in Warstein ein; der Hauptanstifter entkam und führte eine Zeitlang ein Vagabundenleben in den Steinbrüchen bei Allagen, bis er endlich gefangen wurde. Er endete im Gefängnis – und mit ihm die Warsteiner Revolution.
Mancherlei Seuchen, besonders häufige Brände und gelegentliche Einlagerungen während der Freiheitskriege: das waren so die Hauptschicksale des alten Warstein.
Im Jahre 1737 hatte eine „erschröckliche“ Feuersbrunst über 100 Häuser, fast die ganze Stadt, eingeäschert; viele Menschen kamen dabei ums Leben. Weit schrecklicher aber noch und bestimmend für Warsteins Zukunft war der Brand vom 31. Dezember 1802. In einer Viertelstunde waren 96 Häuser, darunter das Rathaus und die übrigen öffentlichen Gebäude, in Asche gelegt.
Ein heftiger, aus Südosten blasender Wind wälzte das Feuer von seinem Herde aus mit rasender Geschwindigkeit der dichtbebauten Höhe zu, so daß in einem Augenblicke die ganze Stadt ein Flammenmeer war.
Dieser furchtbare Brand, der mit einem Schlage fast sämtliche Bürger ihrer gesamten Habe beraubte, veranlaßte sie, sich in dem schon besiedelten Thale anzubauen; so entstand das heutige Warstein.
Und wenn wir oben an der einsamen Kirche stehen inmitten des Trümmerfeldes, dann ziehen grausige Bilder an unserem geistigen Auge vorüber. Wir sehen die Unglücklichen hinausstürzen im Morgengrauen des eisigen Dezembertages, geblendet von dem immer näher sich wälzenden Glutmeer, ungewiß, wohin sie ihr nacktes Leben flüchten sollen.
Die furchtbare Glut macht jede Hülfe unmöglich; schon flammt das Dach der Schule auf, des Rathauses, und von hier leckt die Flamme hinüber zum Turme der nahen Kirche, der bald, einer majestätischen Fackel gleichend, weit hinausleuchtet in die Morgendämmerung.
Die Glocken verstummen, und geschmolzen stürzen sie in die Tiefe; wie durch ein Wunder kam niemand außer einem alten Manne, der im Keller erstickte, um.
Nur selten noch öffnet das alte – es gehört teilweise dem 13. Jahrhundert an – verlassene Kirchlein den Gläubigen seine Pforten. Einige Kreuze und Grabsteine, halb umgesunken, künden noch die Bestimmung seiner nächsten Umgebung an: ein Bild des Verfalls und Vergessenseins. Auf dem mit Bäumen bepflanzten, tiefer liegenden Platze in nächster Nähe lag das Rathaus, das bis auf den Grund niederbrannte; seine Kellergewölbe sind eingestürzt. Ueberall, wohin das Auge blickt, Gartenstücke, oft eingesunken und mit trümmerhaften Mauerresten umgeben, den früheren Umfassungsmauern.
Doch erheben wir den Blick von diesem Trümmerfelde und schauen hinüber nach dem grünen Walde, den fernen Hügeln! Da grüßt von Norden her, wo die Wester der Möhne zueilt, vom Bergeshange Belecke, einst vielgepriesen wegen seiner Heldenthat gegen Soest. Weiter nach Osten blicken hervor, von ihren Höhen herab, Rüthen und Callenhardt, nicht minder bedeutend einst, heute auch nur noch ein Schatten der früheren Größe. Und unter uns, in einem Kranze steiler Kalkfelsen, liegt das neue Warstein mit seinen sauberen Häuschen, majestätisch überragt von der neuen gotischen Kirche.
Wir eilen dem Thale zu, in nordöstlicher Richtung absteigend. Den „Zehnthof“ lassen wir zu unserer Rechten. Er war noch von der früheren Stadtmauer umschlossen und lag hart an derselben, auf hoher Warte.
Eine Inschrift (DeVs et BeneDICtVs beneDICant, d. i. 1712) giebt uns das Alter des Hauptgebäudes an; die Nebengebäude, die frühere Brennerei und Brauerei, sind etwa ein Jahrhundert älter.
Das hier gebraute Bier scheint nicht schlecht gewesen zu sein; denn wie der Pater Martinus erzählt, tranken der 1762 dort vorsprechende Erbprinz von Braunschweig und sein Begleiter jeder drei Glas mit dem Bemerken: „Das ist bier trotz dem in unserem Land.“2)) Der Pater scheint seinerseits dem Weine den Vorzug gegeben zu haben. Als 1758 „ein ganzes Regiment Franzosen“ in Warstein einquartiert worden, sah er die Offiziere Burgunder mit Wasser trinken; er ließ sich auch ein Bierglas voll einschenken, „bedankte“ – fährt er fort – „mich vor ihrem Wasser“.
Einen Blick noch durch den weiten Thorbogen auf die Stadt, den Bahnhof und den schön bewaldeten Overhagen mit dem ragenden Hohensteine, und nun hinab den gewundenen, holperigen Pfad in das Thal, auf die Heerstraße, mitten in das bunte, lebendige Treiben. Vergessen ist das trübe Bild droben auf der Höhe.
Die Bilsteinhöhlen.
Durch die Stadt und weiter auf wenig reizvoller Landstraße, etwa eine halbe Stunde lang, und unser nächstes Ziel, der Bilstein, ist erreicht. So heißt der schön bewaldete, von Norden nach Süden sich etwa 400 Meter lang erstreckende Bergrücken, dessen wir bald ansichtig werden.
Besuchen wir, der Reihe nach gehend, zuerst das Museum mit den Höhlenfunden. In mehreren Schaukästen geordnet, füllen sie ein Zimmer des vom Warsteiner Verschönerungsvereine errichteten Restaurationsgebäudes am Fuße des Bilsteins. Da erblicken wir die spärlichen Ueberreste eines ursus spelaeus, canis lupus sp., eines bos primigenius, einer felis catus ferus u. s. f. in Gestalt einer ulna, tibia, eines radius etc. Die Verwaltung würde sich den Dank manches Besuchers sichern, wenn sie gleich ein lateinisch-deutsches Wörterbuch dazu legte, da dergleichen ein Tourist selten bei sich zu führen pflegt, oder aber, was noch einfacher, wenn sie die deutsche Bezeichnung den einzelnen Teilen gleich beifügte.
Das meiste Verständnis bringen wir noch dem primitiven Handwerkszeug unserer Vorfahren entgegen; da sind Pfriemen aus Hirschhorn, Stein-Speerspitzen, -Pfeilspitzen, Haarpfeile aus Knochen. Die Bruchstücke von Thongefäßen verraten einen noch recht wenig entwickelten Geschmack. Es ist aber auch jene Tausende von Jahren zurückliegende Zeit, als wir noch völlig vergletschert waren, bis zu den Sudeten hin, jene schreckliche Eiszeit, in der diese Dinge entstanden. Mit der Metallbearbeitung wie dem höheren Luxus des Lebens noch gänzlich unbekannt, führten die Menschen mit ihren Renntieren ein Nomadenleben; unsere Höhlen dienten ihnen wohl als vorübergehende Wohnsitze, wo sie dann alle jene für die Wissenschaft so wertvollen Steinsachen („Steinzeit“) gütigst zurückließen.
Hinter dem Restaurationsgebäude tritt aus dem Höhenzuge, der hier in ein Wiesenthal sanft, aber unregelmäßig sich abdacht, ein unscheinbares Bächlein zwischen Felsentrümmern hindurch zu Tage. Es hat das Innere des Berges ausgewaschen, wozu freilich Jahrtausende nötig waren.
Dieser Bach ist also der Bildner der wunderbaren Hohlräume gewesen, die heute unser Staunen erregen. In jenen fernliegenden Zeiten freilich muß seine Wassermenge eine ungleich größere gewesen sein und, wie wir in der Höhle selbst uns überzeugen werden, das Bett desselben hat wohl um 10 Meter höher gelegen. Dementsprechend ist auch sein Ausgangsthor weit umfangreicher gewesen, so daß jene riesigen Tiere, wie Höhlenbären, Höhlenhyänen etc., hierdurch bequem zu ihren Wohnungen gelangen konnten, wo dann jene, deren Knochenreste wir sahen, durch Einstürze oder sonstige Naturereignisse untergingen.
Nunmehr betreten wir die Höhle selbst, die im wesentlichen aus zwei Zügen besteht. Ein langer Gang führt uns zu einem mächtigen Höhlenraume von wohl 20 Meter Höhe, gleicher Länge und etwa halber Breite; es ist die „große Halle“, der Glanzpunkt der ganzen Höhle. Vorerst wenden wir uns links in einen angeschütteten Spalt und auf einer Treppe in den nördlichen Gang.
Da treten jene aus der Dechenhöhle her bekannten wunderbaren Tropfsteinbildungen in so großer Menge und Eigenart uns entgegen, daß wir staunend stehen vor all der Pracht, an der die Natur Tausende von Jahren im Verborgenen arbeitete. Vergegenwärtigen wir uns, daß der herunterfallende Wassertropfen, der Bildner aller Herrlichkeit, einen gar verschwindend kleinen Teil des bildenden Stoffes, der Kalkerde, die das Wasser auflöste, mit sich führt und absetzt! So beobachtete man in der nun fast seit dreißig Jahren bekannten Dechenhöhle ein Wachsen mancher Tropfsteine um nur 2 – 3 Millimeter.
Unter den mannigfachen Gebilden unterscheiden wir kleine, zarte Röhrchen, wie aus Glas gebildet, neben bereits verdichteten, unter zugespitzten Stengeln, Eiszapfen gleich herabhängend: das, alles in blendendem Weiß, sind die jüngeren Bildungen. Entgegenstrebend jenen, die „Stalaktiten“ genannt, erheben sich am Boden, ebenso allmählich wachsend, Säulen, „Stalagmiten“. Hier zeigt sich eben erst der Ansatz, die zukünftige Form andeutend, dort ragt die fertige Säule majestätisch empor, oft von beträchtlicher Höhe; manchmal fehlt nur ein winziges Zwischenstück zwischen sich begegnenden Stalagmiten und Stalaktiten, oder aber ein fadendünnes Röhrchen verbindet beide, dort endlich sind beide Gebilde ganz ineinander geflossen. Das sind wohl die ältesten Bildungen in ihrer bräunlich grauen Färbung und dem massigen Aufbau. Nicht selten fehlt hier die Spitze einer Säule, dort das äußerste Ende eines Zapfens, auch starke Risse zeigen sich hie und da an der Oberfläche des Gebildes.
Welch furchtbare Erschütterungen oder sonstige Naturereignisse mögen hier ihre Spuren zurückgelassen haben, die auch jene mächtigen Kalksteinblöcke herabrissen, die zerstreut umherliegen!
Eines Hauptschmuckes unserer Höhle aber dürfen wir nicht vergessen, jener auch in der Dechenhöhle in so zarter, duftiger Bildung nicht seltenen Vorhänge an den Wänden. Eine wirkliche Gardine würde nicht anders herabhängen, so natürlich ist der Faltenwurf, hier in Creme mit gleichförmigen weißen Streifen, dort in blendendem Weiß mit gelben Streifen; auch die Zacken fehlen nicht an den überraschend abgetönten Rändern. Das Ganze ist durchsichtig wie mattes Glas; mit dem Knöchel geschlagen, geben sie einen klaren, reinen Ton. Wie der Kalk, so lösen sich auch zugleich manche in demselben vorkommende Metalle in dem fließenden Wasser auf und bewirken jene Färbungen; darunter ist besonders Eisenoxyd häufig.
Ein kleiner, niedriger Raum, an den wir im Weitergehen gelangen, birgt eine Fülle der niedlichsten Tropfsteinformen; es ist gleichsam ein Stück aus der an solchen Nippsachen besonders reichen Dechenhöhle, während die Warsteinhöhle mehr großartig erhaben sich darstellt, besonders in ihren einzelnen Hohlräumen. Eine andere Kammer zur Linken zeigt Stalagmiten von über 3 Meter Höhe, neben diesen mächtigen Säulen wieder wundervoll zart gebildete Vorhänge, sozusagen mit regelmäßigem Gewebe.
Nunmehr gilt es, den zweiten Höhlengang zu durchmustern. Wieder öffnet sich ein Raum, angefüllt mit allen sonst zerstreut vorkommenden Gebilden in besonders zierlichen Formen. Wenn in der Dechenhöhle alles wohlgeordnet aufeinander folgt, gewissermaßen ein einziges Schmuckkästchen mit verschiedenen Fächern, so sind hier jene zierlichen Schönheiten an vereinzelten Punkten zusammengedrängt, getrennt durch groteske, selbst schaurige Partien, wie denn auch der ganze Höhlenzug den jener um fast 100 Meter übertrifft.
In unserer, neunzehn Jahre später entdeckten Höhle (1887) erscheint zudem alles noch natürlicher, urwüchsiger. Da hat die Phantasie noch kein „Hermannsdenkmal“, „Schloß am Walde“, „Nasser Pudel“, „Hechtskopf“ etc. etc herauskonstruiert, die dem Beschauer als fertig präsentiert werden, und zwar von unserem Führer seinerzeit merkwürdigerweise durchweg in der Bedingungsform, als: „das hier ‚wäre‘ ein ‚Delikatessenladen‘, dieses hier ‚hätte‘ den Namen ‚Alhambragrotte‘ u. s. f.“ Ob er wohl im Stillen hinzudachte: „wenn‘s Ihnen beliebt“ oder dergleichen? Uns gefiel es hier ebensogut, ohne Beihülfe den vielfachen Eindrücken sich ganz hingeben zu können.
Doch nun zum Ende! So etwas läßt sich überhaupt nicht beschreiben, nur andeuten; das will gesehen, die Erhabenheit will gefühlt sein. Wir wenden uns um, und die „große Halle“ liegt vor uns, eine Treppe führt hinab in den ungeheuren Raum; es ist wohl der größte und imposanteste Hohlraum überhaupt, den unsere Gebirge aufweisen. Felstrümmer deckten einst den Boden und drohen noch, wirr durcheinander geworfen, von der Höhe einer Abstufung herab; über uns aber wölbt sich die mächtige Halle in kühner Rundung, aus ungeheuren Felsblöcken gebildet. Wenn ihr Schluß sich lockerte, wenn ihre Träger wankten –!
Von Zeit zu Zeit klingt es wie fernes Grollen, dazwischen das Pfeifen der Wassergasflamme und das leise Surren der Fledermäuse, der einzigen Lebewesen in diesen unterirdischen Räumen. Wie klein kommt sich der Mensch hier vor, wie ohnmächtig im Anblick dieser Erhabenheit!
Die Wände sind mit allerlei Tropfsteinbildungen geschmückt, da, wo ein Spalt sich öffnet oder doch die im Tropfen herabfallende Kalkerde haften konnte; auf jener Abstufung aber prangen zwischen Trümmern Hunderte von Säulen und Säulchen, und das alles in heller Beleuchtung.
Neben uns öffnet sich ein gähnender Spalt, der zu dem Bache führt, dem Bildner unserer Höhle. Einstmals, wie bemerkt, um 10 Meter höher fließend, da, wo wir stehen, ließ er ungeheure Schlammassen zurück; die Spuren aber der Auswaschung der Hohlräume lassen sich deutlich an den Wänden verfolgen. In diesen Schlamm- und Schuttmassen fanden sich jene fossilen Tierreste der Urzeit, die mithin auch hineingeschwemmt sein können.
Den Gang nach Süden weiterverfolgend, vorüber wieder an herrlichen Partien, an grotesken Bildungen, gelangen wir endlich durch einen künstlichen Schacht zu Tage, vor uns die drei Bilsteinfelsen mit ihren „Kulturhöhlen“.
Davon noch ein kurzes Wort. Nach Westen hin fallen dieselben steil in das Wiesenthal ab, und an dieser Wand öffnen sich hoch über dem Boden drei weite Spalten. In demjenigen der nördlichsten der drei Felsen („Kulturhöhle 2“) fand sich eine große Menge Renntierknochen vor, daher sie auch wohl den Namen „Renntierhöhle“ führt; sie steht nicht, wie die zwei anderen Hohlräume, mit der Tropfsteinhöhle in Verbindung.
Die nächste Höhle nach Süden („Kulturhöhle 3“) lieferte wenig Ausbeute. Am reichsten waren die Funde in der letzten der drei Höhlen („Kulturhöhle 1“), die gar als uralte Waffenwerkstatt angesehen wird wegen der vielen, besonders in den unteren Schichten gefundenen Feuersteinspitzen; auch jene oben erwähnten Thonscherben stammen aus derselben, aber aus geringerer Tiefe, sind mithin jünger.
Von der Höhe dieses Felsens herab kann man den Einfluß des Baches in den Berg sehen.
Da in allen Schichten sämtlicher Höhlen sich Holzkohlen vorfanden, haben jene Ureinwohner das Feuer schon gekannt. Natürlich! Prometheus stahl es ja aus dem Olymp. Oder aber war das gar nach der Eiszeit? Endlich barg Höhle 1 noch Fragmente von fünf Menschenschädeln, von denen eines Bearbeitung zeigt, also wohl als Gerät gedient hat, als es noch zu einem ganzen Schädel gehörte. Welch finstere, ungemütliche Zeit, in die uns diese stummen Zeugen versetzen!
An der rechten Wand derselben Höhle, in Manneshöhe, nicht weit vom Eingange, lesen wir bei Streichholzbeleuchtung die Namen dreier westfälischer Adligen (von Metternich, von Haxthausen, von Brenken) mit dem Datum „14. März 1813“ und einem „vivat Germania“. Sie fanden, wie es scheint, hier eine vorübergehende Zufluchtsstätte vor den Nachstellungen des fremdländischen Menschenschlächters. – Die Bleistiftschrift ist durch ein Eisengitter vor der alles zerstörenden Sammelwut Fremder wie Einheimischer geschützt.
So sehen wir uns denn mit einem Schlage aus jener dunklen Zeit versetzt in eine durch Kultur erhellte und weit, weit fortgeschrittene Periode. Das wahre Licht innerer Begeisterung aber glomm auch damals erst unsicher und versteckt, bis nur wenige Tage später durch den Anruf „An mein Volk“ es zu heller, hehrer Flamme aufloderte.
1) Nach Callenhardt und weiter nach Osten hin zieht sich von Arnsberg aus, den Arnsberger Wald durchschneidend, der „Plackweg“, eine alte sächsische Heerstraße, zum Teil noch auffindbar, oft grün bewachsen.
2) Auch die Einkünfte des Klosters müssen nicht unbedeutende gewesen sein; denn an einem Tage – mitten im Kriege – sandte der Pater neun Wagen und vier Karren voll an dasselbe ab.
Zitiertitel:
BENKERT, ADOLF (1899): An der mittleren und oberen Ruhr. – Aus Westfalen. Bunte Bilder von der roten Erde (hrsg. von LUDWIG SCHRÖDER): S. 440 – 467, 1 Abb., Leipzig: Lenz.